Wie irrelevante Informationen Urteile und Verhalten beeinflussen
Der Anker-Effekt ist einer der am besten belegten verhaltensökonomischen Effekte. Er beschreibt, dass Menschen bei der Verarbeitung von Informationen stark von der zuerst wahrgenommenen Information beeinflusst werden, selbst wenn diese Information objektiv betrachtet vollkommen irrelevant ist.
In einem der ersten Experimente zum Ankereffekt wurden Studenten gebeten, die letzten Ziffern ihrer Sozialversicherungsnummer aufzuschreiben, bevor sie den Wert eines bestimmten Produkts schätzen sollten. Es stellte sich heraus, dass höhere Zahlen in der Sozialversicherungsnummer einen Anker konstituieren und zu einem höheren geschätzten Preis führen – obwohl beide überhaupt nichts miteinander zu tun haben.
Wie irrelevante Optionen Entscheidungen beeinflussen
In vielen Portfolio-Optimierungsprojekten konnten wir zeigen, dass Angebote, die praktisch niemand tatsächlich kauft, einen erheblichen Einfluss auf das Entscheidungsverhalten haben können. Weil sie beeinflussen, wie die anderen Optionen wahrgenommen werden:
#1 Beispiel Automobil / Köder-Effekt
Option 2 (Ausstattungspaket Rückfahrkamera), die fast keiner nimmt, ist ein Köder, der allein die Aufgabe hat, Option 3 (Ausstattungspaket Park Distance Control + Rückfahrkamera) attraktiver erscheinen zu lassen. Lässt man ihn weg, ändern sich die Präferenzen erheblich – und das auf Kosten des Umsatzes:

#2 Beispiel Telekommunikation / Anker-Effekt
Option XL, die wiederum kaum jemand wählt, lässt die anderen Optionen günstiger erscheinen, als sie eigentlich sind. Senkt man ihren Preis, entscheiden sich mehr Kunden für den billigeren Tarif S, weil der Tarif M dann weniger günstig wirkt:

#3 Beispiel Medien / Qualitäts-Anker-Effekt
Im folgenden Beispiel eines Medien-Angebots wurde ebenfalls ein Anker-Effekt genutzt. Hier aber nicht in Form einer sehr teuren, sondern einer Option, die trotz ihres günstigen Preises leistungsseitig wenig überzeugt („Sport“). Auch diese Option zieht die Kunden in höherwertige Optionen: Sie macht den Kunden bewusst, dass schon die wenig überzeugende Option durchaus 4,99€ wert ist – was die deutlich bessere Option „Basis“ für 14,99 € noch attraktiver macht.

Warum kaum relevante Angebotsbestandteile Ihrem Portfolio sogar schaden können
Ein häufiges Missverständnis im Umgang mit Angebotselementen besteht in der Annahme, dass jeder zusätzliche Bestandteil eines Angebots einen – wenn auch möglicherweise geringen – Nutzen stiftet.
#4 Beispiel Versicherung / Averaging-Effekt
Das folgende Beispiel einer Versicherung zeigt aber, dass zusätzliche Angebotseigenschaften sogar schaden, weil Kunden es hassen, für Leistungen zu zahlen, die sie gar nicht brauchen. Und, weil der subjektive Gesamtwert eines Angebots sich nicht aus der Summe, sondern dem Durchschnitt des Werts der einzelnen Elemente ergibt. Wenn mehrere Elemente also einen geringen oder sogar gar keinen subjektiven Nutzen darstellen, sinkt der wahrgenommene Gesamtwert des Angebots deutlich. Beispielsweise sind Angebote mit 3 nützlichen und 3 weniger nützlichen Angebotselementen weniger überzeugend als ein Angebot, das allein die 3 nützlichen Angebotselemente enthält:

Diese Beispiele zeigen, dass Kunden Angebote nie absolut, sondern nur relativ zu anderen Angeboten bewerten können – wie wir auch in unserem Artikel zum Thema Preisakzeptanz beschrieben haben. Und dass das dem klassischen Value-based Pricing zugrundeliegende Modell des Homo Oeconomicus, der Preisleistung maximieren will, unzutreffend ist. (Siehe auch unser Artikel zum Thema Preisimage.)
Für die Produkt- und Portfolio-Gestaltung bedeutet das, dass eine objektive Verbesserung des Angebots oft nicht nur wenig bringt, sondern sogar schaden kann. Und, dass sich am Umgang mit irrelevanten Optionen und Leistungsmerkmalen entscheidet, ob ein Angebot überzeugt oder nicht.